Aus Angst vor Risiko ein großes Risiko eingehen
Einleitung
Am Ende der Entwicklung ihres persönlichen Finanzkonzeptes stehen Menschen regelmäßig an dem folgenden Punkt: es ist ein gewisser Betrag "zu viel", der investiert werden kann. Nehmen wir an, es geht um 100.000 €. Oft stellen Menschen dann folgende Fragen: "Soll ich wirklich alles auf einmal investieren? Was ist, wenn Trump wiedergewählt wird oder der Krieg in der Ukraine eskaliert? Wäre es nicht besser auf den nächsten Crash zu warten und dann zu niedrigeren Kursen kaufen zu können?"
Inzwischen gebe ich hier eine Antwort an den Bauch und eine Anwort an den Kopf.
Die "Bauch-Antwort"
Wir Menschen gewichten Verluste deutlich stärker als Gewinne. Die Vorstellung, dass Sie 100.000 € komplett investieren und den nächsten Crash voll mitnehmen, dürfte schmerzhaft sein. Sie schauen in das Depot und da sind nur noch 60.000 € drin - beängstigend! Wollen Sie diesem Schmerz aus dem Weg gehen, dann dürfen Sie das Geld nicht auf einmal investieren, sondern könnten es über die nächsten 1-2 Jahre verteilt investieren oder vielleicht sogar komplett zurückhalten.
Kommt der Crash, dann freuen Sie sich. Kommt der Crash nicht in den nächsten 1-2 Jahren, sondern die Märkte sind gut gelaufen, dann haben sie eben etwas weniger bzw. gar keinen Gewinn gemacht. Emotional ist das ein guter Deal, Sie gehen einem großen Schmerz (Verlust) aus dem Weg und tauschen das gegen einen kleineren Schmerz (weniger/keinen Gewinn).
Die "Kopf-Antwort"
Wir erwarten bei einer sinnvoll angelegten Kapitalmarktinvestition (siehe auch Anlageberatung) eine durchschnittliche Verzinsung von 4-8% p.a. Jedes Jahr, in dem Sie nicht investiert sind, verzichten Sie auf diese Rendite. Crashs gehören zur Kapitalmarktinvestition dazu und haben im Sinne eines reinigenden Gewitters sogar eine positive Funktion. Leider ist es nicht möglich, den nächsten Crash verlässlich vorherzusagen. Schauen Sie sich einfach die Untergangsprognosen der letzten 10 Jahre an und davon gab es eine Menge! By the way: die Untergangspropheten haben auch ein spannendes Anreizsystem. Liegen die Propheten falsch, dann interessiert es keinen. Haben die Propheten aber ein einziges Mal Recht, dann werden sie zu begehrten Talkshow-Gästen, Buchautoren, usw. Damit lässt sich auch gut erklären, warum sie immer jemand finden werden, der die letzte Krise vorhergesagt hat.
Drei Optionen:
- Heute den gesamten Betrag investieren (die Kopf-Antwort)
- Den Betrag verteilt auf die nächsten 1-2 Jahre investieren (der Kompromiss)
- Das Geld auf der Seite liegen lassen und auf niedrige Kurse warten (die Bauch-Antwort)
Entscheidungen in meinen Beratungen
Die meisten Menschen, die mit mir arbeiten, entscheiden sich für Option 1. Hintergrund ist, dass wir in der Beratung viele andere Bereiche sauber aufsetzen (Basisliquidität und Rücklagen, Grundeinkommen im Alter, Existenzielle Risiken) und die Menschen dadurch ein Gefühl der Sicherheit bekommen. Sie wissen, dass sie das Geld langfristig investieren können und wollen. Zudem gibt es oft neben dem Einmalbetrag weitere monatliche Sparraten, die in absehbarer Zeit den Einmalbetrag übersteigen, was wiederrum den Einmalbetrag relativiert.
In einzelnen Fällen wählen die Menschen Option 2 und das ist dann genau richtig, weil es eine bewusste Entscheidung ist.
Option 3 ist meines Erachtens eine Form des Markttimings, das funktionieren kann, aber erhebliche Risiken mit sich bringt. Die obige Diskussion habe ich exakt so vor 12 Monaten geführt. Unten in der Tabelle sehen Sie die Wertentwicklung der Musterdepots in den letzten 12 Monaten. Diese haben in den letzten 12 Monaten je nach Anlageschwerpunkt eine Wertentwicklung von 14,4% - 27,8% verzeichnet.
Hätte sich die Person für Option 3 entschieden, dann hätte sie in den letzten 12 Monaten auf 14.400 € - 27.800 € Kursgewinn verzichtet.
Und wie würde die Entscheidung heute aussehen? Zu noch höheren Kursen jetzt einkaufen oder doch lieber noch einmal warten? Wenn es dumm läuft, dann sitzen die Menschen die ganze Zeit am Rand als Zuschauer, ohne dass der perfekte Zeitpunkt zum Investieren kommt.
Hier zeigt sich das größte Paradoxon im Finanzbereich:
Menschen gehen aus Angst vor Risiken unbewusst ein noch viel größeres Risiko ein.
Hier die Wertentwicklung der Musterdepots: